Ein großer Spielplatz für große Jungs? Oder. Wie und wo werden Autos eigentlich getestet?
Ein großer Spielplatz für große Jungs? Oder. Wie und wo werden Autos eigentlich getestet?
Wie kann man sich das Testen eines Autos vorstellen? Wie läuft das in der Regel ab? Diese und andere Fragen werden mir sehr häufig gestellt. Ein Auto zu testen ist so unterschiedlich wie die Einsatzmöglichkeiten eines Autos. „Wie? Einsatzmöglichkeiten? Man steigt doch einfach nur ein und fährt los.“ Im Grunde ja, aber davor und danach macht jeder etwas anderes.
Das fängt schon mit der Sitzposition an oder damit, wo und zu welcher Jahreszeit das Auto gerade steht. Im Winter sind andere Anforderungen/Dinge im Vordergrund als im Sommer. Jemand, der am Berg wohnt, steigt anders ein als jemand, der in der Stadt wohnt. Ein Sportwagenfahrer hat andere Ansprüche an ein Auto als eine Mutter, die ihre Kinder zur Schule fährt. Um diese verschiedenen Einsatzgebiete möglichst effektiv abprüfen zu können, gibt es auf der ganzen Welt verstreut Testgelände, wo man ein Fahrzeug auf Herz und Nieren testen kann.
Ich werde versuchen, dir am Beispiel des Testgeländes IDIADA in Spanien einen Einblick zu geben. Hier treibe ich mich auch ab und zu rum.
Dieses Testgelände befindet sich südlich von Barcelona. Die Wetterverhältnisse dort sind über das Jahresmittel überwiegend sonnig und trocken. Der Standort eines Testgeländes ist deshalb so wichtig, weil es sich die Automobilindustrie nicht leisten kann, sich abhängig von den Wetterbedingungen an ihren heimischen Entwicklungszentren zu machen. Wichtig ist auch, dass man die Wetterextreme Hitze, Trockenheit, Kälte und Glätte abprüfen kann.
Auf dem Testgelände von IDIADA geht es überwiegend um Erprobungen auf trockenem Untergrund, auch Highmue oder Hochreibwert genannt.
Was bietet dieses Testgelände seinen Kunden?
Hochgeschwindigkeitsbahn
Wie die meisten Testgelände ist auch dieses von einer Hochgeschwindigkeitsbahn umgeben.
Auf ihr können regulär Geschwindigkeiten bis zu 250 km/h gefahren werden. Muss jemand Tests oberhalb dieser Geschwindigkeit machen, muss er die Strecke exklusiv für sich buchen. Da das Ganze dann richtig teuer ist, werden die notwendigen Tests mit höchster Konzentration vorbereitet. Nichts wird dem Zufall überlassen.
Die Hochgeschwindigkeitsbahn hat vier Fahrspuren in eine Richtung und jede hat eine Mindestgeschwindigkeit. Je weiter außen man fährt, umso schneller muss man fahren. Die Kurven der beiden äußeren Bahnen sind deutlich überhöht und bei einer bestimmten Geschwindigkeit dann auch querkraftfrei. Sprich, man muss nicht lenken, um die Kurve fahren zu können. Die Hochgeschwindigkeitsbahn wird beispielsweise dazu genutzt, um Windgeräusche im realen Fahrbetrieb zu analysieren, oder die Kollegen des Fahrwerks schauen sich an, wie das Fahrzeug bei einem Spurwechsel bei hohen Geschwindigkeiten reagiert. Andere nutzen die Strecke, um das Kühlsystem beispielsweise bei Vmax, also Höchstgeschwindigkeit, zu überprüfen. Dabei kann dann zum Beispiel ein sehr kritischer Fall beurteilt werden.
Dieser sieht so aus, dass man eine bestimmte Zeit Vmax fährt und das Auto dann im Leerlauf in die sogenannte „Idlebox“ stellt. Diese Box ist an den Seiten und nach vorne geschlossen. Das Fahrzeug hat also keinen Fahrtwind mehr, der es kühlt. Es steht sozusagen in seinem eigenen Saft und heizt sich auf. Noch kritischer wäre, wenn man den Motor ausschalten würde. Ein Fall aus der Praxis sieht dann so aus: Nach einer langen, schnellen Autobahnfahrt wird an der Autobahntankstelle angehalten und nachgetankt. Dabei müssen alle Temperaturen im Rahmen bleiben.
Handlingsflächen
Wie der Name schon sagt, werden auf dieser Fläche alle möglichen Fahrmanöver durchgeführt, die das Handling eines Autos betreffen. Das können Elchtests sein, Spurwechselmanöver bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Hochgeschwindigkeitskurvenbremsen, Slalomfahrten usw. Oft werden dazu auch Lenkroboter verwendet, um bei unterschiedlichen Einstellungen des Regelsystems den Faktor Mensch auszublenden.
Die große Handlingsfläche ist dabei ca. 300 m x 300 m groß und hat eine maximale Länge vom Anfang der Anlaufstrecke bis zum Ende von ca. 1000 m. Sie ist topfeben, was bei Regen immer sehr schlecht ist, weil das Wasser nicht abfließen kann. Dann kommen Trocknungsgeräte zum Einsatz.
Die kleine Handlingsfläche (unten zu sehen) verfügt auch über eine Seitenwindanlage.
Der kleine weisse Flitzer ist übrigens ein Elektroauto und hat richtig Dampf.
Schau dir mal das Video hier an. Ist schon erstaunlich was bereits möglich ist.
Handlingskurs
Der Handlingskurs ähnelt am ehesten einer Rennstrecke. Hier werden den Autos so richtig die Sporen gegeben. Man kann dort an die Limits der Fahrphysik gehen und hat in den Kurven Auslaufzonen, um die maximale Sicherheit zu garantieren. Der Kurs kann dabei in verschiedenen Varianten umgebaut werden, je nachdem, was der entsprechende Kunde gerade abprüfen möchte. Sämtliche Fahrzeugwerte können dabei mit aufgezeichnet werden.
Im Video siehst du das oben gezeigte Messsystem in Aktion.
Schlechtwegabschnitt
Auf dem Schlechtwegabschnitt werden die Fahrzeuge auf unterschiedlich schlechten Untergründen bewegt. Das geht los mit Naturstraßen, Landstraßenabschnitten mit unterschiedlichen Belägen, über Kopfsteinpflaster bis hin zu richtigen Schlaglochpisten.
Weiter hat man die Möglichkeit, eine Verwindungstrecke zu fahren oder das Auto über Kiesstraßen zu bewegen. Auf der Verwindungsstrecke schaut man sich beispielsweise die Abrissgeräusche von Dichtungen an oder das Verwindungsverhalten der Karosserie. Man kann dort auch sehr leicht das Abheben eines Rades simulieren. Damit muss dann das Regelsystem des Fahrwerks klarkommen.
Es können dort aber auch sogenannte Missuse-Tests, also Missbrauchstests, durchgeführt werden. Dort wird ein Auto ganz bewusst „kaputt“ gemacht, um zu sehen welche Teile am Fahrzeug wie versagen. Das tut beim Zuschauen schon richtig weh.
Steigungshügel
An den Steigungshügeln mit unterschiedlicher Neigung kann man statische und dynamische Situationen darstellen. Die wohl einfachste ist, bis zu welcher Neigung die Türe am Berg offen bleibt, bis sie von alleine zufällt. Weiter kann man dort überprüfen, wie beispielsweise der Berganfahrassistent seine Arbeit erledigt. Die meisten Steigungshügel haben auch einen Bereich, wo man das Anfahren auf glattem Untergrund simulieren kann. Dazu wird polierter Marmor mit Wasser benetzt, was dann spiegelglatt wird. In IDIADA gibt es Steigungshügel zwischen 8% – 30%.
Bremsenstrecke
Auf der Bremsenstrecke kann man das Bremssystem auf Herz und Nieren testen. Meistens sind die Strecken bewässert, um es noch anspruchsvoller zu machen. Ein sehr anspruchsvolles Manöver ist dabei der Mue-Split-Test. Dabei ist die eine Hälfte des Autos auf einem hohen Reibwert, die andere auf niedrigem Reibwert. Bremst der Fahrer nun, zieht das Fahrzeug tendenziell in Richtung des hohen Reibwerts. Jedes Fahrzeug reagiert hier anders. Damit es aber auch für den Normalfahrer immer beherrschbar bleibt, werden hier viele Stunden in die Abstimmarbeit gesteckt.
Geräuschmessstrecke
Auf dieser Strecke werden beispielsweise Messungen zur Auspufflautstärke gemacht. Auch kann exakt die Lautstärke der Fahrgeräusche ermittelt werden.
Nasshandlingskurs
Der Nasshandlingskurs ist vergleichbar mit dem Handlingskurs, nur eben mit dem Unterschied, dass dort die Strecke komplett unter Wasser gesetzt werden kann. Nasshandlingskurse sind, im Gegensatz zu Trockenhandlingskursen, überwiegend eben ausgeführt, weil sonst das Bewässern deutlich schwieriger wird. Auf Nässe zeigen sich zudem Fahrwerksschwächen oder schlechte Eigenschaften von Reifen deutlich früher als auf trockener Straße.
Kann dort jeder hin?
Kribbelt es bei dir schon?
Kann ich gut verstehen.
Um auf den Strecken der IDIADA fahren zu dürfen, braucht man einen Prüfgeländeführerschein und muss vor Ort eine Einweisung mit schriftlicher Prüfung ablegen. Diese Prüfung muss alle zwei Jahre wiederholt werden. Sicherheit hat einfach immer höchste Priorität.
Jedes Testingteam hat seine eigene Box. Darin befinden sich Büroräume und Werkstätten mit Hebebühnen. Das kann man sich wie eine normale Werkstatt vorstellen. Manche verfügen sogar über eine eigene Küche.
Es wird an fast alles gedacht.
Wer sich sportlich betätigen will, kann auf markierten Wegen seine Joggingrunden drehen.
IDIADA bietet darüber hinaus auch weitere Dienstleistungen an. Man kann dort beispielsweise auch Dauerläufe von Fahrzeugen absolvieren und Crashtests nach neusten Standards durchführen lassen.
Auch Motor- Hydropulsprüfstände können angemietet werden.
Wer es etwas größer will, kann auch die Kippstabilität seines LKW´s überprüfen lassen.
Es ist fast alles möglich und abprüfbar.
Global Player
IDIADA ist international aufgestellt und hat mittlerweile Niederlassungen auf der ganzen Welt, um möglichst viele Kunden erreichen zu können. Beispielsweise in Europa, Amerika, Asien, im Mittleren Osten und sogar in Afrika.
Wer sich ein paar Videos anschauen will, kann sich auf dem hauseigenen Youtube-Kanal umschauen.
Ich hoffe, dass ich dir ein paar Einblicke geben konnte und einige deiner Fragen beantwortet wurden. Und falls du noch Fragen hast, immer raus damit. Schreib mir in die Kommentare, wie dir dieser Beitrag gefallen hat oder gib mir ein Like. Wenn ihr mehr über den schnellen weissen Elektroflitzer erfahren wollt, dann kann ich dazu vielleicht auch einen separaten Beitrag verfassen.
Wie du ein gebrauchtes Auto auf Herz in Nieren testest, zeige ich dir übrigens in meinem E-Book Autokauf mit Grips.
Herzlichst,
Michael